EU-Gipfel ringt um Erklärung zu Giftanschlag in Großbritannien
London- Die Staats- und Regierungschefs der EU haben bei ihrem Gipfel nach einer geschlossenen Haltung zu den Giftanschlägen in Großbritannien gesucht. Zum Auftakt des Treffens am Donnerstagnachmittag blieb es zunächst dabei, dass die EU-Staaten keine direkte Schuldzuweisung an Russland abgeben würden. Kurz nach Beginn des Treffens kamen dann im Konflikt um US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium gute Nachrichten aus Washington: Europa wird zumindest vorerst ausgenommen.
Der Giftanschlag von Salisbury füge sich ein in eine Politik “russischer Aggression gegen Europa und seine Nachbarn”, sagte die britische Premierministerin Theresa May in Brüssel. “Es ist klar, dass die Bedrohung durch Russland keine Grenzen respektiert.”
Nach dem Entwurf der Abschlusserklärung wollen die Staats- und Regierungschefs ihre Erklärung etwas härter fassen, als dies bei den EU-Außenministern am Montag gelungen war. Demnach verurteilen sie den Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal “auf das Schärfste” und nicht mehr nur “scharf”. Wie die Minister sagen sie Großbritannien “uneingeschränkte Solidarität” zu.
Die 28 EU-Staaten machen sich aber nicht die Auffassung Londons zu eigen, wonach Russland direkt für den Anschlag verantwortlich ist. Stattdessen greift der Entwurf die Formulierung der Außenminister auf, wonach die EU die britische Einschätzung “äußerst ernst nimmt, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass die Russische Föderation verantwortlich ist”.
Sie blieb damit hinter der Erklärung Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA von vergangener Woche zurück, wonach Moskau mit “hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung” trägt. Einige EU-Länder wie Italien und Griechenland blockierten aber laut Diplomaten eine so weitgehende Formulierung.
Es war offen, ob es bei den Gipfel-Beratungen zu dem Thema am Abend noch Änderungen geben könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte, dass Großbritannien die Giftsubstanzen an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) übergeben hat, “wo die Dinge untersucht werden können”. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite sagte, ihr Land erwäge, dem britischen Beispiel zu folgen und russische Diplomaten auszuweisen.
Die eigentlich für den Nachmittag geplante Debatte über die drohenden US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium verschoben die Staats- und Regierungschefs auf den Abend. Denn dann wurde eine Erklärung von US-Präsident Donald Trump zu Ausnahmen erwartet. Diese nahm nun sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer vorweg.
Merkel zeigte sich vor der Ankündigung zufrieden mit dem einheitlichen Auftreten der Europäer im Handelsstreit. Die EU habe dabei auch ein “Bekenntnis zum Freihandel abgegeben und gegen den Protektionismus”, sagte die Kanzlerin. In dem Konflikt hatte es immer wieder die Befürchtung gegeben, dass einzelne Mitgliedstaaten versuchen könnten, Ausnahmen nur für sich zu erhalten.
Statt über die Handelspolitik sprachen die die Staats- und Regierungschefs bereits am Nachmittag über Pläne für höhere Steuern auf Digitalunternehmen. Zudem informierte Eurogruppen-Chef Mário Centeno über den Stand der Gespräche bei der Vollendung der Bankenunion.
Beim Abendessen stand auch das Verhältnis zur Türkei auf dem Programm. Dazu gehören Konflikte Griechenlands und Zyperns mit der Türkei. Laut Erklärungsentwurf wollen die Staats- und Regierungschefs hier “die fortgesetzten illegalen Handlungen” der Türkei im östlichen Mittelmeer und der Ägäis “scharf verurteilen”. Der Gipfel will zudem seine “große Besorgnis über die fortdauernde Inhaftierung von EU-Bürgern in der Türkei” äußern.
Auch die Affäre um Datenmissbrauch bei Facebook wird den Gipfel beschäftigen. Hier wollen die EU-Staats- und Regierungschefs von sozialen Netzwerken und digitalen Plattformen fordern, “den vollständigen Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten der Bürger zu garantieren”. Die Frage soll dann weiter bei einem Gipfel in der bulgarischen Hauptstadt Sofia im Mai beraten werden.