Merkel: Europa muss sich antidemokratischen Kräften weltweit entgegenstellen
Berlin- Europa muss sich nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) antidemokratischen Kräften weltweit entgegenstellen. “Wir dürfen nicht naiv sein: Die antidemokratischen Kräfte, die radikalen, autoritären Bewegungen warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu missbrauchen”, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag zur am 1. Juli beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft. An die EU-Mitgliedstaaten appellierte sie, eine Einigung auf den milliardenschweren europäischen Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bis Ende Juli zu ermöglichen.
Antidemokratische Kräfte nutzten Wirtschaftskrisen aus, um “soziale Ängste zu schüren und Unsicherheiten zu verbreiten”, sagte Merkel. Die Bundesregierung als EU-Vorsitz ab 1. Juli werde “entschlossen der Gefahr entgegenarbeiten, dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht”. Denn ein wirtschaftliches Auseinanderdriften der EU-Länder schwäche den EU-Binnenmarkt, der in Europa wirtschaftlichen Wohlstand garantiere.
Sie wolle sich dafür einsetzen, dass Europa mehr globale Verantwortung übernehme, um sich dem Vormarsch “menschenverachtender, antidemokratischer” Bewegungen weltweit entgegenstellen zu können. Diese Kräfte wollten das beenden, “was wir jederzeit existenziell brauchen: Die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge, von Information und Desinformation, von Wissen und Nichtwissen”, sagte Merkel. In dieser Situation brauche die Welt Europas “starke Stimme für Demokratie und Freiheit”.
Die Corona-Pandemie habe offengelegt, wie fragil das europäische Projekt noch sei, sagte die Kanzlerin, die auch Versäumnisse im europäischen Krisenmanagement zu Beginn der Pandemie einräumte: “Die ersten Reflexe – auch unsere eigenen – waren eher national und nicht durchgehend europäisch.” Dies sei “unvernünftig” gewesen, sagte Merkel. “Die Pandemie zeigt uns: Europa ist verwundbar.” Kein Land könne diese Krise isoliert und alleine überstehen. Als Motto der deutschen Ratspräsidentschaft gab sie aus: “Gemeinsam Europa wieder stark machen”.
Die Partner in der EU forderte Merkel auf, eine Einigung über den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Wiederaufbaufonds noch vor Beginn der Sommerpause zu ermöglichen. Dann könnten die Gelder rechtzeitig zum Beginn des kommenden Jahres zur Verfügung stehen.
“Dieser Fonds ist ein dringendes Gebot der Stunde”, sagte Merkel. Zwar sei die Ausgangslage “alles andere als einfach”. Sie hoffe jedoch darauf, “dass alle Mitgliedstaaten jetzt im Geiste des Kompromisses handeln” und sich die EU “möglichst schnell” einige.
In einer Video-Konferenz am Freitag befassen sich erstmals die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem Vorschlag der EU-Kommission, der ein Volumen in Höhe von 750 Milliarden Euro für den Hilfsfonds vorsieht. Dabei gehe es zunächst nur um einen “ersten Austausch”, sagte Merkel. Entscheidungen könnten erst bei einem “physischen Zusammenkommen” des Rates fallen. Geplant ist ein solcher Gipfel derzeit für den 9. und 10. Juli.
Volumen, Art der Hilfen und Finanzierung sind unter den europäischen Regierungen allerdings noch hoch umstritten. Die Mitgliedstaaten müssen dem Vorhaben einstimmig zustimmen.
Gestritten wird unter anderem über die Frist zur Rückzahlung der EU-Schulden. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, forderte am Donnerstag eine deutlich frühere Rückzahlung als der Kommissionsvorschlag dies vorsieht. Es müsse sichergestellt sein, dass das Geld tatsächlich in Zukunftsinvestitionen fließe und die parlamentarische Kontrolle sichergestellt sei.
“Die vorgeschlagene Rückzahlung erst ab 2028 ist jedoch ein plumper Versuch der EU-Kommission und der Staats- und Regierungschefs, diese Herausforderung zu umgehen”, kritisierte Caspary. Er forderte stattdessen eine Frist bis 2026 oder 2027.
Neben der Bewältigung der Corona-Krise sollen laut Merkel auch der Klimaschutz und die Digitalisierung Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft sein.
AFP, 18.06.2020, Foto: Merkel bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag © AFP / Tobias SCHWARZ