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Wirecard lobbyierte bei Bundesländern für Glücksspiel-Großauftrag

Veröffentlicht von PSM.Media

Konzern wollte zentraler Zahlungsabwickler für legales Onlineglücksspiel werden

Rheinland-Pfalz bestätigt Treffen von Staatskanzleichef mit Wirecard-Sonderbeauftragtem

Berlin- Der insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hat sich im Rahmen der jüngsten Reform des deutschen Glücksspielmarktes um einen lukrativen Großauftrag der Bundesländer bemüht. Nach Recherchen des Wirtschaftsmagazins Capital (Heft 9/2020, EVT 20. August) ging es dabei um die Rolle eines zentralen Abwicklers von Transaktionen für legale Online-Glücksspielangebote, für die Wirecard ab 2017 verstärkt bei den zuständigen Ländern lobbyierte. Das Unternehmen habe ein “Verfahren zur Kanalisierung und Zentralisierung der Geldflüsse beim Onlineglücksspiel” vorgeschlagen, bestätigte die rheinland-pfälzische Staatskanzlei gegenüber Capital. Über den Vorschlag sei auch unter den Ländern diskutiert worden. Im Fall eines Zuschlags sollte der Konzern über ein “Beleihungsmodell” hoheitliche Aufgaben übernehmen – ähnlich wie der TÜV in anderen Bereichen.

Verantwortlich bei Wirecard für die Lobbyarbeit im Glücksspielbereich war der damalige Sonderbeauftragte des Vorstands, Burkhard Ley. Der langjährige Finanzvorstand Ley zählt zu jenen Ex-Managern, gegen die nun die Staatsanwaltschaft München I ermittelt. Bei den politischen Aktivitäten unterstützt wurde der Konzern auch von der Beratungsfirma des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) sowie vom Branchenverband DVTM, bei dem der frühere SPD-Spitzenpolitiker und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement als Berater aktiv ist.

Auf Anfrage von Capital bestätigte ein Sprecher der rheinland-pfälzischen Landesregierung zwei Treffen von Staatskanzleichef Clemens Hoch (SPD), der bei der Glücksspielregulierung federführend ist, mit dem Wirecard-Sonderbeauftragten Ley. Diese fanden am 1. Februar 2017 in der Mainzer Staatskanzlei und am 2. Oktober 2018 im Rahmen eines vom Wirtschaftsforum der SPD organisierten “Austauschs” von Branchenvertretern mit Hoch in Berlin statt. Bei beiden Treffen ging es laut Staatskanzlei unter anderem um einen “funktionierenden Vollzug” einer neuen Glücksspielregulierung – etwa “durch die Kontrolle und das Unterbinden von Zahlungsströmen”.

Im Zuge einer auch von der EU forcierten Liberalisierung des deutschen Glücksspielmarktes wollten die Länder an einige bislang illegale Onlinecasinos Konzessionen vergeben. Dabei war die Beauftragung eines deutschen Unternehmens als zentraler Abwickler bei Teilen der Bundesländer zeitweise eine Option, um auf diese Weise mithilfe einer Art Glücksspiel-TÜV die Zahlungsströme zu kontrollieren und Geldwäsche zu unterbinden. Dass es letztlich nicht zu einem Auftrag an Wirecard kam, begründete die rheinland-pfälzische Staatskanzlei mit der späteren Klarstellung von Gerichten und der EU-Kommission, wonach das EU-Recht Deutschland nicht dazu zwinge, seinen Glücksspielmarkt noch stärker zu liberalisieren, als es die Bundesländer wollten. Nur im Fall einer stärkeren Marktöffnung wäre demnach ein Abwicklungsmodell notwendig geworden, wie es Wirecard vorgelegt hatte.

Für den Zahlungsdienstleister, der in der Vergangenheit mit illegalen Transaktionen für Glücksspielangebote in den USA und anderswo aufgefallen war, wäre ein solcher Staatsauftrag als zentraler Zahlungsabwickler extrem reizvoll gewesen. Zuletzt lag der sogenannte Bruttospielertrag im deutschen Online-Glücksspielmarkt bei rund 4 Mrd. Euro im Jahr. Dabei handelt es sich aber nur um die Summe, die am Ende bei den Anbietern von Pokerwebsites und Onlinecasinos hängen bleibt. Die Zahlungen, die zwischen den Spielern und den Anbietern hin und her transferiert werden, summieren sich auf ein Vielfaches. Experten gehen von mindestens 40 Mrd. Euro pro Jahr aus. Bei solchen Beträgen summieren sich schon geringe Provisionen zu hohen Erlösen.

Capital, G+J Wirtschaftsmedien, 20.08.2020, Foto: Wirecard-Vorstandschef Markus Braun muss sich unangenehmen Fragen stellen © Lino Mirgeler/dpa