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Mallorca Großdemonstration gegen coronabedingte Schließungen

Veröffentlicht von PSM.Media

In Palma gehen Menschen gegen die Maßnahmen der Balearen-Regierung auf die Straße und erheben ihre Stimme

Durch Zufall erfahre ich über Instagram, dass in Palma eine Demo stattfinden soll. In der Story eines bekannten Barbesitzers sehe ich den Slogan: „Si el pueblo no trabaja, tú no cobras“ („Wenn das Volk nicht arbeitet, kriegst du kein Gehalt“). Der Satz gefällt mir, denn es geht endlich ums Wesentliche: die finanzielle Existenz der Menschen, die ständig hinter einer angeblich außergewöhnlich gefährlichen Virusbedrohung zurücksteht.

In meiner kleinen Filterblase aus Freiberuflern halten wir uns alle bisher irgendwie über Wasser, und befreundete Barbesitzer müssen zwar Angestellte entlassen, aber kommen irgendwie über die Runden. Teilweise genieße ich sogar dieses ruhige Leben ohne die vielen Touristen in der Stadt und an den Stränden. Doch wie ein Damoklesschwert spüre ich die Not wachsen, sehe mehr Menschen auf der Straße betteln. Oder bilde ich es mir ein, weil ich nun mehr darauf achte?

Mitgefühl und Ohnmacht gegenüber denen, die nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen, belasten mich. Dazu plagt mich die Angst vor Gewalt und Unruhe in der Bevölkerung. Was, wenn der Staat sich bald keine Auszahlungen von Hilfen an die Bedürftigen mehr leisten kann, weil das Geld einfach nicht reicht? Während Unmengen an PCR-Tests und neuartige, unsichere Impfstoffe finanziert werden, sind immer mehr Menschen auf Suppenküchen angewiesen. Auch ich spende dort seit einigen Monaten regelmäßig, würde gern hingehen und mich mit den Menschen unterhalten, doch bisher fehlt mir der Mut.

Wir schreiben und sprechen viel im Namen der Bedürftigen und Armen, doch wie oft sprechen wir mit ihnen?

Es trennt uns eine unsichtbare Grenze. Die Scham auf beiden Seiten. Wie fühlt sich ein Mensch, der um Hilfe bitten oder gar betteln muss? Sehen wir „Mittelständler“ sie überhaupt oder sind sie unsichtbar, da sie sich schämen und nicht laut in der Öffentlichkeit auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam machen (1)?

Seit Beginn der Corona-Maßnahmen wird immer wieder die Solidarität beschrien: Alle Opfer bringen wir aus Solidarität zu den Risikogruppen. Zu den älteren und vorerkrankten Menschen, die an dem Virus sterben könnten.

Wo ist die Solidarität gegenüber den Menschen, die durch diese Maßnahmen in existenzielle Not geraten? Haben wir nicht alle — wirklich alle — diese große Urangst? Auf Hilfe angewiesen zu sein? Um Hilfe betteln zu müssen? Ist das nicht die größte Schande, die uns widerfahren könnte?

Genau diese Angst lässt uns nun vielleicht aufwachen und wirklich Solidarität leben. Wenn nicht nur eine Minderheit betroffen ist, sinkt auch das Gefühl der Schande, so mein Eindruck. Und so zeigen sich auf der Demonstration vor den Gebäuden der Balearischen Landesregierung am Consolat de Mar in Palma de Mallorca Menschen mit Schildern, auf denen steht: „Tengo hambre“ („Ich habe Hunger“), „¡Ayuda ya!“ („Endlich Hilfe!“) und vor allem „¡Basta ya!“ („Es reicht!“).

Die einen fordern mehr Hilfe vom Staat, die anderen den Rücktritt der sozialistischen Ministerpräsidentin der Balearen, Francina Armengol, die bereits im Oktober 2020 für einen Skandal sorgte, als sie in einer Bar dabei erwischt wurde, wie sie ihre eigenen Regeln brach.

Die Menschen hier haben Geduld. Es dauert lange, bis sie wie jetzt zu vielen auf die Straße gehen. Im Frühjahr trafen uns hier extrem harte Maßnahmen mit einer kompletten Ausgangssperre über zwei Monate ohne das Recht auf Spaziergänge. Kinder durften 8 Wochen (!) nicht einmal zum Einkaufen mit aus der Wohnung. Und dennoch: keine Proteste oder nur kleine.

Und nun endlich wacht die Insel auf, als der Tropfen der erneuten Komplettschließungen der Gastronomiebetriebe das Fass zum Überlaufen bringt: Wohlhabende Mittelständler stehen hier neben bereits von der Pleite betroffenen Arbeitslosen und fordern den Rücktritt der Ministerpräsidentin.

Eine Gruppe hipper Menschen in meinem Alter rufen den Journalisten des lokalen Fernsehsenders IB3 fröhlich „IB3, ¡manipulación!“ entgegen. Der junge Journalist des Senders nähert sich ihnen und verteidigt sich. Sie hören ihm zu und er geht. Ich spreche einen aus der Gruppe an.

Miquel (Name geändert) erklärt mir, dass er Immobilienbesitzer sei und hier seine Freunde aus der Gastronomie unterstütze. Er sieht so gut wie nie fern, weiß aber von den Eltern, dass jede kleine Demo als rechts dargestellt wird. Die staatlichen Sender würden keine neutrale Berichterstattung machen. Woher er das weiß, kann er nicht sagen. „Das weiß doch jeder“, lautet seine allgemeine Antwort. Seine Freunde sehen die Politik und die Medien ähnlich wie er. Alternative Medien kennt er keine.

Nach und nach kommen mehr Menschen, und auf einmal gehen ein paar von ihnen auf die sechsspurige Fahrbahn der Hauptverkehrsachse Paseo marítimo und blockieren so den Verkehr. Die Masse folgt ihnen. Die blockierten Autofahrer hupen solidarisch mit den Sprechchören mit. Ein Polizist hilft einem LkW im Schritttempo durch die Menge. Der Fahrer hupt und hält den Daumen hoch. Applaus begleitet ihn. Auch der Polizist klatscht mit.

Ich genieße die Stimmung. Seit Februar 2020 war ich nicht mehr in Deutschland und bekam die Proteste dort nur aus der Ferne mit. Das lange Hierbleiben half mir, mich endlich richtig zu verwurzeln. Hier auf der Demonstration fühle ich mich wohl. Die Teilnehmer sind fröhlich und kraftvoll zugleich.

Was mir ebenfalls auffällt, ist, dass es hier überhaupt nicht um Corona-Leugner oder Impfgegner oder irgendwelche Lager geht. Als ich Miquel nach seiner Einschätzung der Gefahr durch das Virus frage, sagt er, dass er das schwer sagen könne, da er kein Experte sei. Er selbst, seine Freunde und die restlichen Leute hier scheinen jedenfalls keine Angst zu haben.

Das Verhalten der Demonstranten zeigt auch, dass die Angstmache vor dem Virus kaum noch jemanden beeindrucken zu scheint, denn inzwischen kenne ich mehrere Menschen, die positiv getestet wurden und nie erkrankten oder, in einem Fall, drei Tage mit Grippesymptomen im Bett lagen und nun wieder gesund sind, während die Unverhältnismäßigkeit der Verordnungen immer offensichtlicher zutage tritt. Denn die Gefahr der Armut zeigt sich eindeutig, betrifft immer mehr Menschen hier direkt und bringt sie nun endlich zum ersten Mal in Massen zusammen auf die Straße. Laut der Mallorca Zeitung sind es 4.000 Teilnehmer.

Miquel erzählt mir weiter, dass die Demonstration zwar verboten wurde, doch die Organisatoren per WhatsApp eine Nachricht verschickten, dass auch die Polizisten genug von den absurden Maßnahmen hätten und nicht eingreifen oder Strafzettel ausstellen würden, solange die Demo friedlich bleibt, Masken getragen werden und der Sicherheitsabstand eingehalten wird. Er leitet mir die Nachricht per WhatsApp weiter:

 

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Screenshot der Chat-Nachricht über das Verbot der Demonstration:

 

„Die Demonstration FINDET trotz des Verbots der Regierungsdelegation STATT.

Im Chatroom der Gastronomen heißt es, dass die Bereitschaftspolizei auch die Schnauze voll hat und dass sie nicht eingreifen wird, solange wir nicht aus dem Ruder laufen, Masken tragen und Abstand halten.

Haltet Ausschau nach Unruhestiftern … Fallt nicht auf diese Provokation herein und werft sie raus (auch das kommentieren sie).

Wir sind zudem durch Artikel 21 ‚Recht auf friedliche Demonstration ohne Waffen‘ geschützt.“

Als immer mehr Menschen kommen, ist es gar nicht mehr möglich, Abstand zu halten. Die Polizei greift trotzdem nicht ein. Auch die Mallorca Zeitung bestätigt, dass es trotz „tumultartige(r) Szenen vor dem Parlament“, wo die Demonstration später hinzog, keine Festnahmen gab.

Laut Mallorca Zeitung richteten sich die Proteste vor allem dagegen, dass es nicht genügend Hilfen für die Gastronomen gebe. Es ist entmutigend zu lesen:

„Ministerpräsidentin Francina Armengol (PSIB, Sozialistin) äußerte am Dienstag Verständnis für den ‚Unmut‘, betonte aber, dass sich dieser im Rahmen des Gesetzes Luft machen müsse. ‚Meine Verantwortung als Ministerpräsidentin ist zuallererst, die Gesundheit zu schützen‘, sagte sie“ (2).

Es kann Taktik sein, die Menschen ein wenig demonstrieren zu lassen, um den Anschein von Demokratie zu wahren. Ausgehend von Gesprächen mit meinen Bekannten, Freunden und Miquel auf der Demo sowie der Stimmung, die ich wahrnahm, sollten sich die Herrschenden ihrer Sache jedoch nicht allzu sicher sein.

Denn wenn die Menschen erst nichts mehr zu verlieren haben, wenn der Anteil an Armen so groß ist, dass die Scham verblasst und der Wut die Bühne überlässt, dann besteht doch genug Hoffnung, dass sie sich gegen die Regierenden richtet und nicht gegen einen anderen Teil der Bevölkerung, denn Spaltung habe ich hier auf Mallorca bisher nicht wahrgenommen.

Auch Menschen, die anderer Meinung zur Pandemie sind als ich, griffen mich nie an oder verurteilten mich für meine Ansichten.

Und die Polizei machte ihre Position gestern ebenfalls deutlich.

Ich weigere mich, meine Angst vor dem Schlimmsten über meine Motivation, im Alltag aktiv zu sein, siegen zu lassen, und glaube weiterhin an die kleinen Gesten der Menschlichkeit für Zusammenhalt in der Gesellschaft sowie an das Wunder, dass das Narrativ von der Pandemie, die all diesen Wahnsinn an Existenzvernichtungen und Freiheitseinschränkungen rechtfertigen soll, kippen wird.

 

 

Quellen und Anmerkungen:

Elisa Gratias, Jahrgang 1983, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. 2005 wanderte sie nach Frankreich aus, wo sie ihr Studium zur Übersetzerin abschloss. 2014 zog sie nach Mallorca und arbeitet dort seitdem als freiberufliche Übersetzerin, Autorin und Künstlerin. Ihre Auswandererfahrungen und ihr Hang zum Grübeln bescherten ihr viele Erkenntnisse zum Thema Glück, Erfüllung und Gesellschaft. Darüber schreibt sie auf ihrem Blog flohbair.com.

 

Roland Rottenfußer/Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung GmbH, 16.01.2021, Foto: Mallorca © Port Soller © Christian B