Kinder-Impfungen: Impf-Empfehlung an der Stiko vorbei kommt einer Entmachtung gleich
Nach Tagen des politischen Drucks auf die Ständige Impfkommission (Stiko), das Impfen auch für Kinder ab zwölf zu empfehlen, stehen sie politisch vor einem Dilemma:
Berlin. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna sind für Jugendliche zugelassen, eine generelle Empfehlung spricht die STIKO bislang aber nicht aus. Das Bundesgesundheitsministerium will nicht länger warten, sondern den 12- bis 17-Jährigen ein Angebot machen. Heute beraten die Gesundheitsminister der Länder. Auch über Auffrischimpfungen dürfte dabei diskutiert werden.
Die Gesundheitsminister der Länder wollen heute über Corona-Impfangebote für Jugendliche beraten. Nach einem Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums sollen 12- bis 17-Jährige in allen Bundesländern ein solches Angebot bekommen. Das geht aus einem Beschlussentwurf hervor.
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte im Mai den Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen, vor wenigen Tagen folgte auch die Freigabe für Moderna. Für Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Impfung trotz heftigen politischen Drucks bisher jedoch nicht für alle Kinder und Jugendliche, sondern nur für jene mit bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben.
“Es werden nunmehr alle Länder Impfungen für 12- bis 17-Jährige in den Impfzentren anbieten”, schreibt das Ministerium in dem an die Länder versendeten Beschlussvorschlag. Auch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte, die Angehörige impften, könnten eingebunden werden. In einigen Ländern sind bereits Impfaktionen etwa an Schulen geplant. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern beginnt der Unterricht nach den Sommerferien an diesem Montag wieder, in Hamburg am Donnerstag.
FDP kritisiert Vorgehen
Für junge Erwachsene sollen die Länder “niedrigschwellige Angebote” in Universitäten, Berufsschulen und Schulen machen, so der Beschlussentwurf für Montag. “Dies kann maßgeblich zu einem sichereren Start in den Lehr- und Lernbetrieb nach den Sommerferien beitragen.”
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha von den Grünen befürwortet Impfungen für Jugendliche. Auch aus Sachsen-Anhalt kam Zustimmung. Die amtierende sachsen-anhaltische Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne sagte: “Die Nachfrage dazu ist vorhanden.” Das Land plane bereits Sonder-Impfaktionen für Heranwachsende, so die SPD-Politkerin. Kritik kam von der FDP. “Wenn die Gesundheitsminister die Impf-Empfehlung an der Stiko vorbei ändern, kommt das einer Entmachtung gleich”, sagte Andrew Ullmann, Obmann der FDP im Gesundheitsausschuss des Bundestags, dem “Tagesspiegel”.
Dritte Impfung ab September
Ein weiteres Thema der Gesundheitsminister sollen Auffrischimpfungen sein. Für bestimmte Gruppen schlägt das Bundesgesundheitsministerium entsprechende Impfungen ab September vor. Insbesondere bei immungeschwächten, sehr alten und pflegebedürftigen Menschen wiesen Studienergebnisse auf einen verminderten oder schnell nachlassenden Schutz nach einer Impfung hin. Die Länder sollen deshalb laut Entwurf mobile Impfteams unter anderem in Pflegeeinrichtungen schicken. Menschen mit einer Immunschwäche oder in häuslicher Pflege sollen demnach von ihren Ärzten eine Auffrischimpfung angeboten bekommen. Diese Impfungen sollen mit einem der beiden mRNA-Impfstoffe erfolgen, also mit den Mitteln von Biontech/Pfizer und Moderna. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sprach sich für eine Auffrischimpfung aus. Es brauche aber “klare und unbürokratische Vorgaben” dazu, welche Gruppe als erstes dran sei. Dazu brauche es belastbare Aussagen des Bundes und der Ständigen Impfkommission, sagte der CSU-Politiker.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen fordert unterdessen verstärkte Aufklärungskampagnen für die Impfungen und “alltagstaugliche Lösungen”. “Offensichtlich fehlt es an überzeugenden, zielgruppenspezifischen Aufklärungskampagnen, an mehr Mobilität des Impfstoffs, also Impfbussen, und an einer Corona-Warn-App, die die Menschen auf Spontan-Impfangebote in der Umgebung hinweist”, sagte er der “Rheinischen Post”. “Es braucht Gestaltungswillen und bessere Informationsangebote, gute Argumente und alltagstaugliche Lösungen”. Ebenfalls in der „Rheinischen Post“ äußerte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Er schließt Nachteile für Ungeimpfte nicht aus. “Private Anbieter können natürlich Geimpften oder Genesenen Vorteile gewähren. Staatliche Stellen müssen aber allen gleichermaßen ihre Leistungen anbieten, wobei durch Hygienekonzepte oder künftig durch Eigenleistungen für Tests durchaus auch Nachteile für Ungeimpfte entstehen können”, so Mützenich.
ino/dpa/ntv/presse.online, Foto: Kinder-Impfungen (C) IStock