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Das Desaster des Westens in Afghanistan

Veröffentlicht von PSM.Media

Mehrheit der Deutschen lehnt Flüchtlingswahlkampf ab

Berlin. Mit einem Triell startet die heiße Wahlkampfphase in Deutschland. Vier Wochen vor der Bundestagswahl treffen die Spitzenkandidaten von SPD, Union und Grünen am Sonntagabend in einer TV-Runde aufeinander: Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Außenpolitische Themen werden bei derartigen Diskussionen gerne nur am Rande behandelt. Das Desaster des Westens in Afghanistan ändert nun die Ausgangslage, schließlich waren auch deutsche Truppen 20 Jahre lang am Hindukusch stationiert.

Die deutsche Evakuierungsmission ist seit Donnerstag beendet, 5.347 Personen wurden ausgeflogen. Unter ihnen befinden sich mehr als 4.000 afghanische “Ortskräfte” und deren Angehörige, also Personen, die von deutschen Ministerien direkt oder indirekt engagiert wurden und in der Bundeswehr, bei der Polizei oder als Entwicklungshelfer tätig waren. Nicht alle von ihnen konnten Afghanistan verlassen. Von insgesamt 8.000 Anspruchsberechtigten spricht das deutsche Patenschaftsnetzwerk für afghanische Ortskräfte, Kanzlerin Angela Merkel nannte gar 10.000 Personen. Wie deren Ausreise bei der katastrophalen Sicherheitslage gelingen soll, weiß derzeit niemand.

Deutsche Botschaft in Kabul warnte

Die schwarz-rote Regierung in Berlin steht daher in der Kritik, Grünen-Chefin Baerbock fordert einen Untersuchungsausschuss des Bundestages in der kommenden Legislaturperiode. Vor allem Außenminister Heiko Maas (SPD) muss sich vorhalten lassen, die Gefahr der militanten Islamisten viel zu lange verkannt zu haben. Aber selbst der Bundesnachrichtendienst ging noch Mitte August davon aus, dass die afghanische Hauptstadt Kabul frühestens im September an die Taliban fallen könnte. Die Koordination der Geheimdienste liegt bei Merkels Kanzleramtsminister Helge Braun.

Über die Bedrohungslage seit Beginn des alliierten Truppenrückzugs im Mai war das Auswärtige Amt aus erster Hand im Bilde, denn die eigene Botschaft in Kabul warnte. Doch der offizielle Lagebericht des Ministeriums bestand noch im Juli aus veralteten Informationen mit Stand Mai. Die Grünen vermuten daher, die Bundesregierung wollte die Lage in Afghanistan so lange wie möglich schön reden. Und zwar, um so viele abgelehnte oder straffällige afghanische Asylwerber wie möglich aus Deutschland abzuschieben – auf dem Rücken der afghanischen Ortskräfte, die den Taliban als Verräter gelten.

Mittlerweile herrscht Konsens zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen, dass die Ortskräfte so schnell wie möglich ins Land sollen. Bei der Frage, ob und wie viele Afghanen noch kommen dürfen, verläuft wieder die alte Trennlinie zwischen den Konservativen und der Öko-Partei: Laschet zieht Parallelen zu den Ereignissen vor sechs Jahren und wiederholt Merkels Mantra: “2015 darf sich nicht wiederholen.” Er nennt auch keine konkrete Zahl für die Aufnahme von Afghanen. Baerbock streicht die “große Hilfsbereitschaft” der Bürger heraus, die weiterhin vorhanden sei. Bis zu 50.000 Afghanen könnten aufgenommen werden.

30.000 Ausreisepflichtige, 1.000 Abschiebungen

Bereits jetzt zählt Deutschland die europaweit meisten Flüchtlinge aus Afghanistan. 148.000 Menschen waren es Ende 2020 laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Das bedeutet 180 Personen pro 100.000 Einwohnern, den dritt höchsten Wert nach Österreich (450) und Schweden (290). Knapp 30.000 ausreisepflichtige Afghanen befinden sich noch in Deutschland. Aber nur 1.000 wurden in den vergangenen fünf Jahren wieder zurückgebracht, unter ihnen überwiegend Straftäter.

Diese Ziffern waren stets Erfolgsgaranten für die AfD, als Asyl, Zuwanderung und Integration die Diskussion dominierten. Den in Umfragen bei rund zehn Prozent verharrenden Rechtspopulisten könnte nichts Besseres passieren als eine Wiederkehr dieser Themen, sollten sich viele Afghanen Richtung Europa aufmachen. Die Rechtspopulisten wollen alle Asylwerber an den deutschen Grenzen abweisen und dort Zäune errichten.

CDU/CSU trachten, nicht nochmals nach Rechtsaußen Stimmen abzugeben. Sie setzen sich in ihrem Programm für die Bundestagswahl das Ziel, dass weniger Personen in Deutschland ankommen. Wie auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz sieht Armin Laschet in erster Linie die Nachbarländer von Krisenherden in der Pflicht, Personen aufzunehmen. Parallelen finden sich auch bei den Asylverfahren, sie sollen laut Union in “europäisch verwalteten Entscheidungszentren” an den Außengrenzen stattfinden.

Die Grünen wollen lediglich die Registrierung an den Außengrenzen. Die Asylverfahren sollen in den potenziellen Aufnahmeländern abgewickelt werden. Auch Personen, die wegen Armut, Umwelt- und Klimakatastrophen ihre Heimat verlassen, sollen in Deutschland Asyl erhalten.

Die SPD fordert einen “solidarischen Verteilungsmechanismus” in der EU. Gut integrierte Personen ohne gesicherten Aufenthalt sollten dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland erhalten. Zur Lage in Afghanistan blieb Spitzenkandidat Scholz vage. Geschadet hat es den Genossen nicht: In Meinungsumfragen liegt die SPD auf Platz eins, knapp vor der Union.

 

APA/Presse.Online, Foto: Mehr als 5.000 Personen sind aus Afghanistan nach Deutschland ausgeflogen worden © IStock