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Prozess um Terroranschläge in Paris mit 130 Toten beginnt

Veröffentlicht von PSM.Media

Am 8. September beginnt in Paris der Prozess der Pariser Attentate vom 13. November 2015

Es war eine erschütternde Terrornacht, die Paris bis heute traumatisiert. Islamisten töteten vor sechs Jahren bei einer Anschlagserie 130 Menschen. Nun beginnt der Prozess gegen 20 mutmaßliche Extremisten.

Paris. Der fatale Konzertabend liegt fast sechs Jahre zurück, aber Serge Maestracci kann sich noch an Einzelheiten erinnern. Etwa an das auffällige rote T-Shirt, das er trug. Er hat auch noch vor Augen, wie er auf dem Weg zur Pariser Musikhalle Bataclan an einem Modegeschäft vorbeifuhr, in dem Schaufensterpuppen derart sonderbare Schatten warfen, dass er mit seinem Handy ein Foto davon schoss. Schatten wie jene der Männer, die einige Stunden später mit Kalaschnikows schießend in den abgedunkelten Konzertsaal eindringen sollten.

Extremisten hatten am 13. November 2015, einem Freitag, in der Pariser Konzerthalle «Bataclan» ein Massaker angerichtet und dort 90 Menschen erschossen. Außerdem beschossen sie Bars und Restaurants im Osten der Hauptstadt. Insgesamt töteten die Attentäter bei den Angriffen an verschiedenen Orten in Paris 130 Menschen. Am Stade de France sprengten sich zudem während des Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich drei Selbstmordattentäter in die Luft. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge für sich.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es 1765 Nebenkläger. Zum Prozessauftakt sind zwei Tage alleine dafür reserviert, jeden namentlich aufzurufen. Erst am dritten Tag will das Gericht inhaltlich breiter auf die Vorwürfe eingehen, die sich auf 500 Aktenordner mit Ermittlungsergebnissen stützen. Hunderte Zeugen sind vorgeladen worden, darunter Ermittler aus Frankreich und Belgien sowie der damalige französische Präsident François Hollande, heißt es. Zunächst ist der Prozess bis Mai kommenden Jahres terminiert.

Einen angesichts des dramatischen Ausmaßes der Terrornacht gebührenden Raum erhalten die Opfer und ihre Angehörigen: Über fünf Wochen hinweg sollen rund 300 von ihnen das Erlebte schildern. Je eine halbe Stunde wird jedem eingeräumt, 14 solcher Aussagen pro Verhandlungstag sind eingeplant.

„Jahrhundert-Prozess” soll Attentate aufarbeiten

Nun soll ein „Jahrhundert-Prozess” mit 1765 Nebenklägern und mehr als 300 Anwälten diese aufarbeiten. Er beginnt am 8. September und wird mindestens achteinhalb Monate dauern. Extra für ihn entstand ein neuer, stark abgesicherter Verhandlungssaal innerhalb des Justizpalastes auf einer der beiden Seine-Inseln mit einer Fläche von 750 Quadratmetern, der bis zu 550 Personen fassen kann. Fast acht Millionen Euro kostete der Bau.

Daneben wird das Geschehen in ein Dutzend weitere Räume und über ein Web-Radio für die Zivilkläger übertragen. Hunderte Zeugen werden angehört, darunter auch der damalige Präsident François Hollande und knapp 300 Überlebende und Angehörige, die sich äußern wollen.

Die Verhandlung wird komplett für das Staatsarchiv gefilmt – das ist in Frankreich nur sehr selten und bei historischen Prozessen der Fall, etwa jenem gegen den Nazi-Schergen Klaus Barbie 1987 und zuletzt beim Prozess um die terroristischen Attentate auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo”, eine Polizistin und den jüdischen Supermarkt „Hyper Casher” im Januar 2015 in Paris. Es waren die ersten Schläge in einem für Frankreich so traumatischen Jahr, ausgeführt von zwei Brüdern und einem dritten, mit ihnen bekannten Täter.

Attentatsserie zeigt hohes Organisations-Niveau

Bei der Attentatsserie am 13. November 2015 zeigte sich dann noch ein deutlich höheres Organisations-Niveau einer von Belgien aus operierenden, weit verzweigten Terrorzelle, welche die staatlichen Geheimdienste nicht zu fassen bekommen hatten. Monatelang konnten die Täter, die teilweise nach Syrien gereist und in zwei Fällen von dort mit den Flüchtlingsströmen und gefälschten Pässen nach Europa gekommen waren, ihre mörderischen Projekte vorbereiten.

Auf das Konto dieses Netzwerks gehen auch die Brüsseler Anschläge vom 22. März 2016, bei denen am Flughafen und in einer U-Bahnstation in der belgischen Hauptstadt 32 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt wurden.

Von den zehn Mitgliedern der Pariser Terror-Kommandos überlebte nur der heute 31-jährige Salah Abdeslam, ein in Belgien aufgewachsener Franko-Marokkaner. Anders als sein Bruder Brahim, ebenfalls einer der Selbstmordattentäter, konnte er seinen Sprengstoffgürtel nicht zünden, der defekt war, entledigte sich diesem und floh nach Brüssel. Dort wurde er im März 2016 gefasst, wurde seither bereits in Belgien zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt – und schweigt beharrlich.

Den weiteren 19 Angeklagten wird vorgeworfen, der Terrorzelle angehört oder den Tätern Waffen, Unterkünfte oder Geld zur Verfügung gestellt zu haben. Einer von ihnen wird nicht vor Gericht erscheinen, weil er in Tunesien inhaftiert ist, fünf weitere sind vermutlich inzwischen in Syrien oder im Irak umgekommen.

Unter ihnen befand sich auch der mutmaßliche Hauptdrahtzieher Oussama Atar, dessen Bruder Yassine mitangeklagt ist, während zwei seiner Cousins zu den Tätern der Brüsseler Attentate gehörten. Zwölf der 20 Angeklagten droht lebenslange Haft.

 

DPA/RND/Presse.Online, Foto: Prozess um Terroranschläge in Paris mit 130 Toten beginnt ©  IStock