Aktuell sitzen 7.615 Personen ihre Strafe in einem der 28 österreichischen Gefängnisse ab
Wien. Während seit der Pandemie in ganz Österreich Abstand zu halten das Gebot der Stunde ist, scheint dies in mehreren österreichischen Gefängnissen gar nicht möglich zu sein. Die Belagszahlen zeigen, dass einige Justizanstalten seit Anfang 2020 immer wieder überbelegt waren. Das geht aus der Beantwortung einer Anfrage der FPÖ durch Justizministerin Alma Zadic hervor. Beim Personal ist es hingegen umgekehrt: Justizbeamte, Verwaltungspersonal, Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter fehlen.
Aktuell sitzen 7.615 Personen ihre Strafe in einem der 28 österreichischen Gefängnisse ab. Insgesamt liegt die Belagskapazität damit bei 88,09 Prozent. In einzelnen Justizanstalten wird die Belastungsgrenze jedoch immer wieder erreicht oder gar überschritten. Dabei handelt es sich allerdings um kein neues Phänomen. “Überbelegung gab es schon immer”, sagt Albin Simma, Vorsitzender der GÖD-Justizwachegewerkschaft, im Gespräch mit der “Wiener Zeitung”.
“Die Kollegen werden ins Burnout getrieben”
Auch sonst spart Simma nicht mit scharfer Kritik am Gefängnissystem. “Es interessiert niemanden, was hinter der Mauer läuft, bis etwas passiert”, sagt er. Insassen und Personal hätten dabei gleichermaßen mit den Auswirkungen der Überbelegung zu kämpfen. Für die einzelnen Insassen fehle dem Personal die Zeit. Ab 15 Uhr sei vor Ort etwa kein sozialer Dienst mehr verfügbar, als erste Ansprechpersonen gelten jedoch ohnehin die Justizwachebediensteten. Doch auch hier fehlt es an Personal. Verbesserungen seien laut dem Gewerkschafter keine in Sicht. “Eine Personalbeschaffungs-Offensive wurde versäumt”, so Simma. Frei gewordene Stellen beim Exekutivdienst blieben oft eineinhalb Jahre unbesetzt. Für Justizwachebeamte seien 19 Tage Dienst hintereinander keine Seltenheit. “Die Kollegen werden ins Burnout getrieben”, sagt Simma. Auch die verhältnismäßig niedrige Entlohnung locke nicht unbedingt Personal an.
Spitzenauslastung von 113 Prozent
In gleich sieben österreichischen Justizanstalten startete das Jahr 2020 mit einer Überbelegung. Zu Spitzenzeiten wurde eine Auslastung von rund 113 Prozent erreicht. Während in vielen Gefängnissen die Auslastungsgrenze immer wieder unter 100 Prozent fiel, war die Justizanstalt Garsten 2020 hingegen das ganze Jahr durchgehend überbelegt. Im ersten Halbjahr 2021 waren bisher nur in den Monaten Jänner und März keine Gefängnisse voll oder überbelegt.
Doch warum sind die Justizanstalten überhaupt so voll? Zwar sinkt die Zahl der Verurteilungen jährlich, die Haftstrafen in Österreich waren laut Europäischer Strafstatistik im EU-Vergleich aber zuletzt sehr lang. Während die durchschnittliche Haftdauer 2018 in Europa bei 7,7 Monaten lag, betrug sie hierzulande 10,3 Monate.
35 Prozent der 2020 in Österreich vollzogenen Strafen dauerten kürzer als ein Jahr. Rund 48 Prozent der Insassen mussten eine Haftstrafe zwischen einem und fünf Jahren verbüßen. Gut zehn Prozent mussten fünf bis zehn Jahre hinter Gittern verbringen. 4,6 Prozent saßen zwischen zehn und zwanzig Jahren und 1,6 Prozent zwischen 20 Jahren und lebenslang in einer Justizanstalt.
Das Justizministerium erklärt die Überbelegung trotz rückläufiger Verurteilungen auf Anfrage der “Wiener Zeitung” damit, dass der Rückgang bei Verurteilungen nicht linear, sondern in Wellen erfolge. Neue Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen würden daher weiterhin zu höheren Insassenzahlen führen. Zudem leide der Strafvollzug an der chronischen Unterfinanzierung der letzten Jahre, so das Ministerium.
Jene Personen, die aktuell eine Strafe verbüßen müssen, sind zu 50,6 Prozent österreichische Staatsbürger. 15,7 Prozent stammen aus der EU, 32,7 Prozent sind keine EU-Bürger. Bei einem Prozent ist die Staatsbürgerschaft unbekannt. Der Anteil der ausländischen Gefangenen bringe laut Simma ebenfalls Schwierigkeiten mit sich. Die Einstellung zu Uniformierten und Frauen sei mitunter problematisch, so seine Erfahrung. Simma wäre dafür, dass ausländische Häftlinge ihre Strafe im Heimatland verbüßen müssen.
Maßnahmenvollzug “herausforderndes System”
Neben Überbelegung und gleichzeitigem Personalmangel ortet Simma weitere Probleme. “Insassen des Maßnahmenvollzugs werden wie Tiere behandelt. Ohne adäquaten Platz, wo sie richtig behandelt werden können”, sagt er. Das Justizministerium wies diesen Vorwurf gegenüber der “Wiener Zeitung” scharf zurück. Probleme beim Maßnahmenvollzug seien dem Ressort allerdings durchaus bewusst. Grund dafür seien ausgebliebene Reformen – in den vergangenen 50 Jahren habe es keine größeren Gesetzesänderungen gegeben. Vierzig Prozent der im Maßnahmenvollzug untergebrachten Personen seien dort etwa nur aufgrund eines minderschweren Deliktes. Zudem seien viele Jugendliche wie Erwachsene behandelt worden – eine Unterbringung habe ihnen damit oft Chancen in ihrem weiteren Leben verbaut.
“Der Maßnahmenvollzug ist ein sehr herausforderndes System für alle Beteiligten”, sagt Monika Stempkowski vom Institut für Strafrecht und Kriminologie in Wien. Generell gäbe es hier zu wenig Personal. Dieses müsste schließlich neben der Ausbildung auch den Willen und die Empathie für die Klientel mitbringen. Wenn bauliche und personelle Verbesserungen ausblieben, seien rasche, intensive und individuelle Therapien für Kranke nicht möglich. Therapien würden immer später starten, weniger und kürzer werden. “Eine optimale Versorgung ist dann nicht möglich. Zu dieser wäre der Staat jedoch verpflichtet”, sagt Stempkowski. Eine verzögerte Therapie bringe zudem auch einen späteren Entlassungs-Termin mit sich.
Justizministerium will Reform des Strafvollzugs
Das Thema Überbelegung bezeichnet Stempkowski als “zusätzlichen Stressfaktor”. Pro Zelle würden mehr Inhaftierte als vorgesehen untergebracht, die Mitbewohner könnten sich Inhaftierte natürlich “auch nicht aussuchen”. Im Maßnahmenvollzug werde der Stressfaktor durch eine Krankheit oft noch multipliziert. “Das Gefühl von Enge und Nähe ist für die Insassen dort noch einmal herausfordernder.” In jedem Fall ist eine Überbelegung auch für das Personal problematisch. Sie müssen mehr Personen betreuen und sichern, während das Potenzial für Auseinandersetzungen ebenfalls steigt.
Im Justizministerium bestätigt man, dass eine Überbelegung auch zu weniger Zeit für die individuelle Betreuung der Häftlinge führe. Der Überbelegung will man mit einer Reform des Strafvollzuges entgegenwirken. Dabei sollen Modernisierung, “zielgerichtete Resozialisierung und effiziente Deradikalisierung der Rechtsbrecher” im Zentrum stehen. Auch der Maßnahmenvollzug soll einer Reform unterzogen werden. Hinsichtlich des Personalmangels, so das Ministerium, hätten in der Vergangenheit durchgeführte Werbekampagnen bereits einen merkbaren Anstieg bei den Bewerbungen für Justizwachestellen gezeigt. Während 2015 nur 599 Bewerbungen eingereicht wurden, waren es im Jahr 2018 bereits 1315 Bewerbungen.
APA/Wiener Zeitung/Presse.Online, Foto: Systembild: österreichische Gefängnisse © IStock