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Zustimmung der Union bei heiklen Projekten nötig

Veröffentlicht von PSM.Media

Ausstieg aus der Kohle schon bis 2030 geplant

Erstaunlich rasch einigten sich SPD, FDP und Grüne auf ein ebenso erstaunlich konkretes Grundlagenpapier für Koalitionsverhandlungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese scheitern, ist damit nicht mehr allzu groß.

Berlin. Es war in den letzten Tagen vor allem das Schweigen, das auffiel. Das Schweigen der Vertreter von SPD, Grünen und FDP zu den Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Ampelkoalition in Deutschland. Anders als bei den gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und den Grünen 2017, die FDP-Chef Christian Lindner wegen der linken Standpunkte der Grünen letztlich platzen ließ, sollte diesmal nichts nach außen dringen. Damals wurden die Streitpunkte öffentlich dokumentiert und kommentiert. Das habe “am Ende ganz viel Vertrauen kaputtgemacht”, befand kürzlich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Diesmal sollte es anders laufen. “Vertrauen”, so Klingbeil, sei für die geplante Regierung “ein wesentlicher Baustein” – gerade bei so heterogenen Koalitionspartnern wie der wirtschaftsliberalen FDP und den Grünen.

Ausstieg aus der Kohle schon bis 2030 geplant

Am Freitag hatte es dann den Anschein, als sei die Herstellung eines solchen Vertrauens gelungen. Die Parteispitzen von SPD, FDP und den Grünen haben sich an diesem Tag unisono – nach der nicht allzu langen Sondierungsperiode – für den Eintritt in Koalitionsgespräche ausgesprochen. “Wir sind davon überzeugt, dass wir einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen können”, heißt es in einem gemeinsamen Papier zu den Ergebnissen der Gespräche. Bei den Grünen muss zwar noch ein kleiner Parteitag übers Wochenende den Entschluss zu Verhandlungen absegnen. Auch die FDP will noch in ihren Gremien beraten. Substanzielle Stolpersteine sind bei beiden Parteien allerdings keine zu erwarten.

Zwölf Seiten umfasst das Sondierungspapier, das – dafür, dass es sich noch um keinen voll ausverhandelten Koalitionsvertrag handelt – einige erstaunlich konkrete Eckpunkte enthält. Festgeschrieben wurde dabei unter anderem ein schnellerer Kohleausstieg – ein Anliegen der Grünen. “Idealerweise”, heißt es in dem Papier, soll der bereits 2030 gelungen sein – acht Jahre früher als bisher geplant. Der gesetzliche Mindestlohn soll auf Wunsch der SPD von 9,60 auf 12 Euro pro Stunde angehoben werden, und für Klimaschutz-Investitionen sind “Superabschreibungen” geplant. Ein Tempolimit auf Autobahnen wird allerdings ebenso wenig kommen wie Erhöhungen bei Einkommens-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer. Auch die Vermögenssteuer ist vom Tisch – und die deutsche Schuldenbremse soll nicht aufgeweicht werden. Die FDP kann zudem noch die Einigung auf eine Aktienrente für sich verbuchen.

Ökonomen bewerten Papier positiv

Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie sprach von einem konstruktiven Kompromiss, Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, von einem guten Paket. Tatsächlich ist mit dem Sondierungspapier mehr als nur ein erster Schritt zur Bildung einer Ampelkoalition in Deutschland gemacht. Der Umstand, dass die Eckpunkte so rasch und relativ detailliert ausverhandelt wurden, macht es ziemlich unwahrscheinlich, dass die Koalitionsgespräche ähnlich wie im Jahr 2017 scheitern werden.

Dazu kommt noch die positive Atmosphäre der Gespräche, die die Vertreter der drei Parteien herausstrichen. Der mögliche künftige Kanzler Olaf Scholz sprach von einer “Regierung für den Fortschritt”, vom “größten industriellen Modernisierungsprojekt Deutschlands seit über hundert Jahren”. Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock stieß ins selbe Horn und redete von einer “Reform- und Fortschrittskoalition”, von Gesprächen, die nicht vom Geist des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern von echter Erneuerung getragen seien.

Es waren allerdings nicht nur die Vertreter der links stehenden Parteien, die zufrieden waren. Auch FDP-Chef Lindner stimmte Lobeshymnen über das positive, respektvolle Gesprächsklima an – und sprach davon, dass es “lange Zeit keine vergleichbare Chance gegeben hat, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren”. Die Gespräche hätten bei allen Beteiligten “den Möglichkeitsraum erweitert” und “neue politische Fantasie möglich gemacht”. Dieser neue Stil markiere eine “Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands”. Man habe sich, so Lindner an die Adresse seiner eigenen Wählerschaft, außerdem auf “klare finanzielle Leitplanken” verständigt.

Zustimmung der Union bei heiklen Projekten nötig

Zuvor hatten viele bürgerliche Beobachter erwartet, die FDP würde in der Koalition mit den beiden Linksparteien untergehen. Die Verhandlungsposition Lindners war und ist aber nicht so schlecht, wie es den Anschein hat: Denn für die aus Sicht der Liberalen heikelsten Projekte bräuchten SPD und Grüne in Bundestag und Bundesrat nicht nur die Zustimmung der FDP, sondern auch die der Union. So wies auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans darauf hin, dass für eine Änderung der Schuldenbremse eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Parlamentskammern notwendig sei. Den Investitionswünschen insbesondere der Grünen sind somit Grenzen gesetzt.

 

APA, Foto: Die Verhandler der drei Parteien – hier Robert Habeck und Annalena Baerbock von den Grünen, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und FDP-Chef Christian Lindner (von links) – hoben die konstruktive Atmosphäre der Gespräche hervor.© APAweb/afp, Christof Stache