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Polen – Machtkampf zwischen Warschau und EU

Veröffentlicht von PSM.Media

Im Justizstreit zeigt sich Premier Morawiecki nicht zum Einlenken bereit. EU-Kommission droht mit neuen Strafverfahren

Prag. Es geht um viel Geld. Gut 18 Milliarden Euro erhielt Polen zuletzt aus dem EU-Haushalt – jährlich. Und allein aus dem Corona-Aufbaufonds sollen fast 24 Milliarden Euro an direkten Zuschüssen in das Land fließen. Doch geht es nach Teilen des EU-Parlaments, sollte die Auszahlung der Mittel blockiert werden: Die Rechtsstaatlichkeit in Polen sei in Gefahr, die nationalkonservative Regierung dort baue den Staat in autoritärer Weise um.

Das betonten Abgeordnete aus den Reihen der größten Fraktionen, der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten, sowie grüne und linke Mandatare, als am Dienstag das Thema Polen auf der Agenda des Plenums der EU-Volksvertretung in Straßburg stand und für eine mehr als vierstündige Debatte sorgte. Aus Brüssel war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angereist, aus Warschau Premierminister Mateusz Morawiecki. Nach seinem Auftritt war klar: Sein Kabinett gedenkt derzeit nicht, in dem Justizstreit mit der EU rasch einzulenken.

Von der Leyen zeigte sich daher “sehr besorgt”. Sie sprach von einem “direkten Angriff auf die Einheit des europäischen Rechts” und skizzierte nochmals die Möglichkeiten der EU, dem entgegenzutreten: Einleitung eines Verfahrens wegen Vertragsverletzung, ein Strafverfahren zur Überprüfung der Einhaltung von EU-Grundrechten und das Zurückhalten von Mitteln aus dem EU-Budget.

Zwist um EU-Recht

Doch bisher hatten sich die Drohungen der EU-Kommission, bereits gestartete Strafverfahren und sogar Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs meist als fruchtlos erwiesen. Der seit Jahren schwelende Zwist um die im In- und Ausland kritisierte polnische Justizreform, um Postenbesetzungen in Gerichten und Disziplinarmaßnahmen für Richter eskalierte vor knapp zwei Wochen mit einem Urteil des Verfassungstribunals in Warschau, das den Vorrang von EU-Recht vor nationalen Regeln teils verneinte – und damit einen Grundsatz der Union in Frage stellte. Schnell kochte, vor allem in Westeuropa, eine Diskussion über einen möglichen EU-Austritt Polens hoch.

Premier Morawiecki wies dies zurück. Der Platz seines Landes sei in der Europäischen Union, einer “Union souveräner Staaten”. Diese Souveränität unterstreicht die Regierung in Warschau – ähnlich wie jene in Budapest – immer wieder. Daher wehre sich sein Land gegen eine “schleichende” Ausweitung der EU-Zuständigkeiten und gegen “Erpressung”, befand Morawiecki.

Gleichzeitig verteidigte er den Spruch des Verfassungstribunals und zitierte aus Urteilen von Verfassungsgerichten anderer Staaten, unter anderem der Niederlande und Deutschlands. Diese hätten ebenfalls die Vorrangstellung der Verfassung eines Landes betont. Zwar möge EU-Recht vor nationalen Gesetzen gelten, doch innerhalb der Kompetenzgrenzen, mit denen die Mitglieder die EU ausgestattet hätten. “Wenn ihr aus Europa einen Superstaat ohne Nationen machen wollt, dann braucht ihr dafür die Zustimmung der Länder”, rief der Premier dem Abgeordnetenhaus und der Kommissionspräsidentin zu.

Schatten über Gipfeltreffen

Das Thema könnte das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag überschatten, zumal aus den Niederlanden und Luxemburg etwa viel Schelte für Polen kommt. Doch nicht alle Staaten wollen das Land an den Pranger stellen. In Deutschland hatte zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut gemahnt, auf Dialog statt auf Konfrontation zu setzen. Und die Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit sowie Auszahlung von EU-Mitteln lehnen nicht nur Polen und Ungarn ab. So bezeichnete der litauische Staatspräsident Gitanas Nauseda nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen eine solche Verbindung als “moralisch schädlich” und “nicht richtig”. Er bot an, zwischen Polen und der EU-Kommission zu vermitteln.

Eine solche Mission scheint derzeit wenige Aussichten auf Erfolg zu haben. Noch weniger dürfte eine Verschärfung des laufenden Strafverfahrens nach Artikel 7 zur Überprüfung der Grundrechte haben. Am Ende würde gar der Entzug von Stimmrechten – bei EU-Ministersitzungen etwa – stehen. Dass es so weit kommt, ist aber unwahrscheinlich. Eine solche Strafmaßnahme bräuchte die Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten. Ungarn hat das jedoch schon ausgeschlossen.

Doch nicht nur den Druck der EU ignoriert die Regierung in Warschau, sondern auch den aus der Bevölkerung. Zehntausende Menschen protestieren seit Jahren immer wieder gegen die Justizreform. Bei ihren Demonstrationen halten sie EU-Fahnen hoch und fordern Rechtsstaatlichkeit. Es geht eben nicht nur um Geld.

 

APA/Presse.Online, Foto: EU-Parlament © IStock