Erlernte Hilflosigkeit

Erlernte Hilflosigkeit

Veröffentlicht von PSM.Media

Kapitalismus fördert systematische Unselbstständigkeit trotz Propaganda

Das kapitalistische System treibt — trotz gegenteiliger Propaganda — die Menschen systematisch in die Unselbstständigkeit. Viele können sich heutzutage ein Leben ohne die große Palette an Waren und Dienstleistungen des Turbokapitalismus gar nicht mehr vorstellen.

Berlin. „Eigenverantwortung“ ist im neoliberalen Kapitalismus eine gern genutzte Phrase, um den Abbau des Sozialstaates voranzutreiben und die Menschen zu egoistischen, ideologiegesteuerten und profitgierigen Ich-AGs zu erziehen. Die Menschen müssten, so das Argument, sich in Eigenverantwortung üben und könnten nicht vom Staat abhängig bleiben. Dies, so wird fortgeführt, sei der Weg in den Sozialismus, indem der Staat gegen die Logik des Marktes agiere, auch „nutzlose“ und „faule“ Schmarotzer durchfüttere und sie dazu ermuntere, faul und nutzlos zu bleiben.

Vieles an dieser Ideologie ist menschenverachtend und zutiefst faschistisch: die Einteilung der Menschen in nutzlose und nützliche, die ideologische Propagierung eines „Naturzustandes“, der von der Kraft des Marktes beherrscht wird, die bereits religiöse Züge annimmt. Dennoch ist eine Sache nicht falsch: Die Menschen verlernen tatsächlich, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, allerdings anders, als die neoliberale Propaganda das darstellt. Denn dieser zufolge sollen die Menschen gar nicht erst Eigenverantwortung übernehmen, sondern sich nur von einer anderen Instanz abhängig machen, nämlich dem geheiligten Markt, sich seinen Regeln und Gesetzen unterwerfen und sozusagen seinen Willen erfüllen, indem sie ihm dienen.

Dabei ist es das kapitalistische System, das die Menschen systematisch in die Abhängigkeit und Unselbstständigkeit führt. Die Menschen sind heute überhaupt nicht mehr in der Lage, selbstständig zu überleben. Das beginnt mit der zunehmenden Spezialisierung, die beinahe jeden einzelnen Menschen zu einem Fachidioten macht. Die meisten Menschen beherrschen nur ein sehr beschränktes Repertoire an Fähigkeiten.

Waren die Menschen in vorindustriellen Zeiten Generalisten und in der Lage, eine ganze Bandbreite an Tätigkeiten auszuführen, die sie für ihr tägliches Überleben brauchten, wie Gemüse und Getreide anpflanzen, Tiere halten und eine ganze Reihe von handwerklichen Arbeiten, so ist heute kaum noch jemand in der Lage, über den begrenzten Horizont seines erlernten Berufes hinaus zu blicken.

Das jedoch ist eine Folge des kapitalistischen Systems, das immer weitere Spezialisierung erforderlich macht. Es gibt heute so viele Berufe wie nie zuvor, und gerade deshalb sind die Menschen immer unfähiger, auch nur die grundlegenden Anforderungen des Lebens selbstständig zu erfüllen. Geht in der Wohnung oder im Haus etwas kaputt, wird der Handwerker gerufen; hat man Hunger, geht man einkaufen; und wer selbst die Zubereitung des Essens nicht beherrscht, der bestellt einfach ganz bequem bei einem der zahlreichen Lieferdienste. Im täglichen Leben muss man sich beinahe um nichts mehr selbst kümmern, denn für alles gibt es einen Spezialisten, den man rufen kann. Alles, was man zu tun hat, ist, die eigene Profession auszuleben, anschließend nach Hause zu gehen und es sich dort bequem zu machen. Und genau das ist diese Daseinsform auch: unglaublich bequem. Man ist kaum noch genötigt, sein Leben selbstständig zu organisieren. So viele Dienstleister und Hersteller nehmen einem die Arbeit schlichtweg ab.

Doch selbst, wenn es anders gewollt wäre — ein eigenverantwortliches Leben ist heutzutage kaum noch möglich. Das fängt schon mit der Ernährung an. Denn um seine Ernährung in die eigenen Hände zu nehmen, bräuchte man große Flächen Land. Diese jedoch sind heutzutage alle bereits in privater Hand und nicht wenige davon in der Hand großer Investoren, welche professionelle Landwirte darauf beschäftigen, in Abhängigkeit von sich und in Erwartung von Profiten. Die Spekulation mit Boden führt zudem dazu, dass die Preise für Grundstücke immer weiter in die Höhe schießen, sodass eine Privatperson ohnehin nicht in der Lage dazu wäre, Land zu kaufen. Land zu kaufen, um darauf Nahrung anzubauen, ist also eine schwierige, kostspielige Angelegenheit.

Hinzu kommt das erforderliche Wissen, die lange Erfahrung, die notwendig wären, um den Boden zu bestellen, die Pflanzen zu ernten und zu verarbeiten. Dieses Wissen ist im Zuge der Industrialisierung weitgehend verloren gegangen. Heutzutage wird mit industriellen Methoden, Maschinen, Kunstdüngern und Pestiziden Nahrung in großen Monokulturen angebaut. Das wiederum bringt nicht nur schwache und giftige Nahrungsmittel hervor, sondern zerstört auf Dauer auch den Boden. Alle anderen Formen der Landwirtschaft sind heutzutage kaum vorstellbar, was sich auch in der Reaktion von Bauern auf Zeilen wie diese widerspiegelt.

Auf diese Weise sind wir abhängig von den großen Supermarktketten, die letztlich auch die Preise für die Nahrungsmittel bestimmen, weshalb die Bauern ebenfalls abhängig von diesen sind. So ist der Mensch abhängig vom Kapital, das natürlich darauf abzielt, so viele Konsumenten wie möglich zu haben und so hohe Profite wie möglich zu erzielen. Hinzu kommen extreme, staatliche Regulierungen, die zudem immer weiter zunehmen und es auf diese Weise Einzelpersonen immer mehr verunmöglichen, sich um ihre Nahrungsmittel selbst zu kümmern.

Dasselbe gilt für alle anderen Aspekte des Lebens. Der Bau eines Hauses, die Versorgung mit Wasser, Wärme und eventuell Strom? Alles nicht nur staatlich streng reguliert, unter anderem mit einem Anschluss- und Benutzungszwang, der einen dazu nötigt, sein Haus an die öffentliche Versorgungsinfrastruktur anzuschließen, die natürlich nicht kostenlos ist. Hinzu kommt, dass für all das Materialien gebraucht werden, die allein das kapitalistische System bereitstellt. In den Wald gehen und Bäume fällen, um eine Blockhütte zu bauen oder Feuerholz zu schlagen, ist nicht nur nicht erlaubt, sondern erfordert auch Werkzeuge, die man kaufen muss. Für alles braucht man eine Genehmigung, die natürlich nicht einfach so erteilt wird.

Zudem sind wir vollkommen abhängig vom Strom. Alles läuft heutzutage über Elektrizität. Ohne Strom gibt es keine Wasserversorgung, die Supermarkttüren öffnen nicht, die Kassensysteme funktionieren nicht, und es wäre auch nicht möglich, Geld abzuheben, um einkaufen zu gehen. Das Versorgungsnetz befindet sich aber, ebenso wie das Kommunikationsnetz, in der Hand des Staates, und kann von diesem jederzeit als Waffe gegen die Menschen eingesetzt werden.

Letztlich sind wir auch überall abhängig vom Geld. Denn ohne Geld kann man auch die Werkzeuge und Materialien nicht kaufen, die man braucht, um sich unabhängig zu machen. Zudem erhebt der Staat Steuern auf Grundstücke, sodass man selbst bei einem hohen Grad der Selbstversorgung an Geld gelangen muss, um die Steuern zu bezahlen. Hinzu kommt der Zwang, in eine Kranken- und Rentenkasse einzuzahlen.

Auch politisch sind wir vollkommen unselbstständig. Denn die öffentlichen Angelegenheiten werden von Parlamenten und Behörden geregelt. Hier wählen wir alle paar Jahre sogenannte Volksvertreter, die dann über unseren Kopf hinweg Entscheidungen nach ihrem Gutdünken treffen und uns diese aufzwingen. Behörden setzen das dann um — meist zum Schaden der Bevölkerung.

Es ist überhaupt nicht möglich, sich selbst zu organisieren und von diesem System unabhängig zu machen, da man im Zweifelsfall schnell als terroristische, verfassungsfeindliche Zelle zerschlagen wird. Staat und Kapital wollen nämlich überhaupt keine unabhängigen Menschen. Sie üben gerade über die Abhängigkeit Macht aus, sichern sich so das Macht- und Marktmonopol und damit auch die Profite. Der vom Kapital schon vollkommen durchsetzte Staat nutzt seine Macht, um die Menschen in die Arme des Kapitals zu treiben, wie der Zwang zur Genspritze in Zeiten des Coronafaschismus gezeigt hat. Dasselbe versucht das Kapital über staatliche und zwischenstaatliche Organisationen mit der Landwirtschaft, die vollkommen in der Hand des Kapitals monopolisiert werden soll, weswegen Kleinbauernbetriebe zerschlagen werden müssen.

Das System treibt die Menschen also gezielt in Abhängigkeit und Unselbstständigkeit. Doch an diese haben sie sich auch schon längst gewöhnt und geben sogar noch großzügig die Verantwortung für ihr gesamtes Leben ab.

Gut beobachten lässt sich das am Beispiel der Corona-Genspritzen. Viele Menschen haben sie sich einfach unhinterfragt verabreichen lassen, ohne kritisch zu hinterfragen, ob das wirklich eine gute Idee ist. Schlimmer noch, sie haben diejenigen, die damals gewarnt haben, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass die Pandemie eine Fälschung ist und keine der Maßnahmen irgendeine Wirkung hat, ausgelacht, diffamiert, beleidigt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie haben die Verantwortung für sich, ihre Gesundheit und ihr Leben an den Staat und die Genspritzenkonzerne abgegeben.

Jetzt leiden viele von ihnen an den Folgen; nicht wenige sind gestorben, andere für den Rest ihres Lebens schwer beeinträchtigt. Noch mehr haben ein zerstörtes Immunsystem und sind andauernd krank. Das ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man die Eigenverantwortung an andere Instanzen delegiert. Doch die Betroffenen wenden sich jetzt erneut an dieselben Instanzen, die sie in diese Situation getrieben haben, und verlangen, dass sie sich um sie kümmern. Verblendeter und verantwortungsloser kann man kaum noch sein. Was erwarten sie denn von diesen Instanzen, die alles daran gesetzt haben, sie zu töten und schwer zu verletzen? Von Anfang an war das Ziel, den Menschen diese Schäden zuzufügen, warum sollten die Täter sich nun entschuldigen und den Opfern zu Hilfe eilen? Erwartungsgemäß werden diese Menschen auch ignoriert. Hätten sie die Verantwortung für ihr Leben in die eigenen Hände genommen, wären sie heute nicht in einer solchen Situation.

Doch auch in der Opposition ist von einer echten Verantwortungsübernahme wenig zu sehen. Auch hier gibt man die Verantwortung wieder ab, nur eben an andere Instanzen.

Man hofft, von anderen Parteien wie der AfD, der Werteunion oder der BSW erlöst zu werden. Anstatt das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, läuft man nur dem nächsten Anführer hinterher und erhofft sich von diesem die Lösung für all seine Probleme.

Das kann natürlich nicht funktionieren, weil auch dieser neue Anführer seine eigene Agenda hat und ohnehin alle Parteien in dieser Pseudodemokratie im kapitalistischen System eingepreist und Agitatoren des Kapitals sind, zumindest jene, die zu relevanter Größe heranwachsen.

Der Dienstleistungskapitalismus hat die Menschen jeder Verantwortung enthoben. Warum sich auch noch Gedanken machen, wenn man die gekaufte Ware jederzeit zurückschicken kann? Warum darüber nachdenken, woher das Essen kommt, wenn man es doch bequem bestellen kann? Sogar die Verantwortung für die Umwelt wird kapitalisiert und an Konzerne ausgelagert. Man kann „grün und umweltbewusst“ konsumieren, was natürlich nur bedeutet, dass die Umweltzerstörung in andere Teile der Welt ausgelagert wird. Der Konzern und die Werbung nehmen einem die Verantwortung, ja selbst die eigene Entscheidung ab und reinigen das Gewissen mit wohlklingenden Phrasen. Für jedes, meist erst künstlich geweckte Problem gibt es eine schnelle Lösung. Schmerzen? Nimm diese Pille. Müdigkeit? Trink diesen Energydrink und performe wieder bei der Arbeit oder in der Freizeit. Keine Freundin? Dann verabrede dich auf der Datingplattform für ein schnelles Abenteuer.

Dieser Wohlfühlkapitalismus hat in den Menschen die Vorstellung geweckt, dass es für jedes Problem, ob eingebildet oder real, eine schnelle, einfache Lösung gibt. Diese Vorstellung wird in die gesellschaftliche und politische Sphäre übertragen, und so läuft man nur dem nächsten Heilsbringer, der nächsten Partei oder dem Anführer als Fast-Food Lösung für die eigene Unzufriedenheit hinterher, nur um dann, nach einem kurzen Zuckerschock, wieder in eben jene Unzufriedenheit zu versinken. Und so werden die Menschen zum Spielball politischen Theaters, das in der Regel nicht mehr ist als eine Ablenkung von den wahren Ursachen der Unzufriedenheit, Unfreiheit, Armut oder Krankheit.

Die Menschen werden beständig in ihre eigene, wachsende Unfreiheit hinein manipuliert, indem man sie davon überzeugt, dass diese Oppositionspartei die Freiheit bringe, obwohl sie eine Agitatorin des Finanzkapitalismus ist. Anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen und die Probleme des Systems, nämlich die Abhängigkeit von Staat und Kapital, bei der Wurzel zu packen, werden nur billige Scheinlösungen propagiert.

Und nein, hier gibt es keine schnelle Lösung. Es ist ein langwieriger Prozess, der in die Freiheit führt.

Es gibt auch kein Patentrezept. Man kann sich ein paar mögliche Wege überlegen, doch es ist nicht garantiert, dass sie tatsächlich in die Freiheit führen. Im Hinblick auf die Abhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung vom Kapital könnte man sich zum Beispiel zusammenschließen und die Landwirte unter Umgehung der Supermarktketten gemeinschaftlich finanzieren. Im Gegenzug erhielte man die Früchte der Arbeit, also Nahrung. Das ist das Konzept einer solidarischen Landwirtschaft, die den Bauern mehr Spielraum gibt und sie weniger abhängig von Konzernen macht. Weiterhin kann ein jeder anfangen, in seinem Garten oder auch auf öffentlichen Plätzen Gemüse und Obst anzubauen. Damit ist die Abhängigkeit von Geld und vom System noch nicht überwunden, aber es ist ein erster Schritt in die Eigenständigkeit.

Weiterhin gibt es Beispiele für Energiekraftwerke, welche die Bürger selbst in Form von Genossenschaften besitzen und warten und welche die Energieversorgung eines Ortes sicherstellen. Auf diese Weise kann man sich unabhängig von der Energieinfrastruktur eines Landes machen. Auch dies ist noch nicht die Lösung für alles, aber eine weiterer Schritt in Richtung Freiheit und Eigenverantwortung. So kann man in jedem Bereich des täglichen Lebens neue Wege ausprobieren, um die Abhängigkeit vom System zu reduzieren und sich in Richtung Freiheit zu bewegen.

Solche Schritte erfordern auch eine politische Zusammenarbeit. Man muss sich zusammensetzen, um über die Belange abzustimmen, in diesem Fall eben die Nahrungsmittel. Man muss sich überlegen, was benötigt wird, in welchen Mengen und was nötig ist, um diese zu erlangen. Dazu muss man sich mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen und zu einer Einigung kommen, etwas, das wir im atomisierten Dienstleistungskapitalismus auch nicht mehr gewohnt sind.

Doch all das ist, ob bequem oder nicht, notwendig, wenn wir nicht der Spielball von Konzern- und Kapitalinteressen bleiben wollen, der wir bislang sind. Nur ein konsequenter Entzug der Unterstützung dieses Systems kann letztlich in die Freiheit führen — und dazu ist es notwendig, jeden Bereich des Lebens vollständig anders zu organisieren.

Glücklicherweise gibt es für vieles schon positive Beispiele überall auf der Welt. Man muss sie nur auf die eigene Situation übertragen. Und so können wir, Schritt für Schritt, die Verantwortung für unser Leben wieder in die eigenen Hände nehmen und wachsen auf diese Weise in die Freiheit hinein. Der schöne Nebeneffekt ist, dass wir eine ganze Reihe von Fähigkeiten neu erlernen können und damit auch persönlich wachsen.

Über den Autor:

Felix Feistel, Jahrgang 1992, studierte Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Völker- und Europarecht. Schon während seines Studiums war er als Journalist tätig; seit seinem Staatsexamen arbeitet er hauptberuflich als freier Journalist und Autor. So schreibt er für manova.news, apolut.net, multipolar-magazin.de. Eine Ausbildung zum Traumatherapeuten nach der Identitätsorientierten Psychotraumatheorie und -therapie (IoPT), als der er auch arbeitet, erweiterte sein Verständnis von den Hintergründen der Geschehnisse auf der Welt.

 

Felix Feistel/Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, Foto: Systembild Unselbstständigkeit © IStock