Spanien,Politik,Außenpolitik,Presse,News

Parlamentswahlen – Droht Spanien der Rechtsruck?

Veröffentlicht von PSM.Media

Spanien wählt eine neue Regierung

Madrid. Am heutigen Sonntag finden in Spanien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Insgesamt 37,5 Millionen Spanier sind zur Wahl von 350 Abgeordneten aufgerufen. 1,6 Millionen wählen zum ersten Mal. Darf man Umfragen des Meinungsforschungsinstituts GESOP vom Freitag glauben, dürften die Konservativen (PP) von Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo mit 32,7 Prozent die Wahlen vor den Sozialisten (PSOE) von Premier Pedro Sánchez gewinnen, die auf 28,5 Prozent der Stimmen hoffen können.

Regieren würde Feijóo am liebsten alleine. Aber keiner einzigen Umfrage prognostizierte der PP mehr als 156 Sitze in einem Kongress, in dem die absolute Mehrheit bei 176 Sitzen liegt. Es hängt also alles vom großen Heer der Unentschlossenen ab, das immerhin 15,2 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht. Aber auch von der Wahlbeteiligung. Vor allem die niedrige Teilnahme an den landesweiten Kommunalwahlen und den insgesamt zwölf Regionalwahlen Ende Mai war laut Experten Schuld am Wahldebakel der Sozialisten.

Um so mehr verwunderte es auch, dass Spaniens sozialistischer Regierungschef in einer Art Flucht nach vorne die Neuwahlen ausgerechnet auf den 23. Juli vorzog. Eigentlich befindet sich das Land nämlich zu dieser Zeit im Ferien- und nicht im Wahlmodus. Hunderttausende Spanier sind bereits an den Mittelmeerküsten des Landes und genießen am Strand Paellas und „Tintos de Verano“ (Rotwein mit Limonade).

So war es auch folgerichtig, dass die spanische Post bis zu 20.000 Zusatzhelfer einstellen musste, um die 2,5 Millionen Anträge auf Briefwahl bearbeiten zu können – doppelt so viele wie bei den vorläufig letzten Parlamentswahlen 2019. Von Wahlmüdigkeit ist also zumindest im Vorfeld keine Spur. Kein Wunder, steht doch viel auf dem Spiel.

Da eine absolute Mehrheit für eine der beiden großen Volksparteien eine Überraschung wäre, gibt es nur drei mögliche Szenarien, erklärt Politikexperte Pablo Simón der APA: „Neuwahlen“ oder eine erneute, aber unwahrscheinlichere Mehrheit von Sozialisten und des Linkpakts „Sumar“, zu dem auch der bisherige Regierungspartner Unidas Podemos gehört. „Oder, und so sagen es auch sämtliche Umfragen voraus, ein Wahlsieg der Konservativen, die allerdings von der rechtspopulistischen Vox-Partei abhängen würden“.

Parlamentarische Alternativen haben die Konservativen keine. Sánchez wiederum stellte bereits selbst klar, er werde keine konservative Minderheitsregierung unterstützen, auch wenn dies heiße, dass die Konservativen die Rechtsradikalen in die Regierung holen müssten.

Genau dieses Panorama suchte anscheinend Premierminister Sánchez, als er die Parlamentswahlen selbst für seine eigene Partei überraschend in die spanischen Sommerferien legte. Er wusste, dass die Konservativen nach den Kommunal- und Regionalwahlen kurz vor Beginn der Wahlkampagne Koalitionen mit der Rechtsextremen eingehen mussten. Und so war es auch in Hunderten von Rathäusern und zahlreichen Regionalregierungen, die Mitte Juni gebildet wurden.

So hofft Sánchez, mit dem „Schreckgespenst des Rechtsrucks“ moderate Zentrumswähler verunsichern und Spaniens Linkswähler mobilisieren zu können. Es wäre tatsächlich das erste Mal seit dem Ende der faschistischen Franco-Diktatur 1975, dass wieder eine rechtsextreme Partei in Spanien an die Macht käme.

Dementsprechend inhaltslos sah dann auch der Wahlkampf aus. Fast alle Parteien konzentrierten sich lieber drauf, den politischen Gegner zu diffamieren. Aber nicht nur von sozialistischer Seite. Auch Feijóo reduzierte seine Kampagne auf die simple Grundsatzentscheidung „Sánchez oder Spanien“.

Seine Rechnung kann aufgehen. Die Person Sánchez ist in der Bevölkerung umstritten. So konzentrierte Feijóo seine Angriffe auf Sánchez selber und seinen Führungsstil und weniger auf seine Regierungspolitik. Das Problem der Konservativen: „Sie können Sánchez’ wirtschaftspolitische Erfolge nicht kleinreden. Unter Sánchez wuchs die spanische Wirtschaft über dem EU-Schnitt. Viele Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Mindestlöhne angehoben. Die Inflation ist mit knapp 1,6 Prozent eine der niedrigsten Europas“, erklärt Politikexperte Simón.

Unter Sánchez, einem überzeugten Feministen, der sich seit dem 1. Juli zudem als staatsmännischer EU-Ratspräsident auf der internationalen Bühne zeigt, wurde Spanien in vielen Aspekten auch zur angesehenen Avantgarde in Europa, was Frauen- und Gleichheitsrechte betrifft. Sánchez führte Parität in Politik und Unternehmen ein, liberalisierte die Abtreibungs- und Euthanasiegesetze, brachte fortschrittliche Transgender voran und traute sich sogar Diktator Franco aus seiner berühmten Gruft im „Tal der Gefallenen“ zu holen und auf einem konventionellen Friedhof umzubetten.

Unter Sánchez ist es sogar im Unabhängigkeitskonflikt mit den Katalanen ruhiger geworden. Doch hier setzt die Opposition an, die ihm vorhält, den Separatisten, von denen Sánchez Minderheitsregierung bisher abhängte, einen hohen Preis zu bezahlen. Wie seine Katalonien-Politik werden auch seine gesellschaftspolitischen Erfolge gerade von konservativen Wählern als rotes Tuch angesehen.

Es dürfte aber vor allem die polemische Politik seines bisherigen Koalitionspartners, der linkspopulistischen Unidas Podemos sein, die Sánchez sein Amt kosten könnte. Wenn nicht die neue Linkspartei Sumar, in der jetzt auch Podemos aufging, einen Überraschungserfolg bei den Wahlen hinlegt und doch noch eine Mehrheit für den spanischen Linksblock erzielen könnte.

Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr MESZ, auf den Kanarischen Inseln um 21.00 MESZ. Danach wird mit ersten Ergebnissen gerechnet.

 

APA, Foto: Spanien wählt © Geralt